Fleisch, Fisch & Ernährung


Es ist eingangs zu betonen, dass m.E. nicht Nutztierhaltung an sich oder das Essen von Fleisch oder Fisch für sich genommen, sondern die Art und Maßlosigkeit der industriellen Massentierhaltung das Problem ist: Begrenzte, artgerechte Tierhaltung gehört zum bodenbewahrenden agrarkulturellen Kreislauf hinzu, wie bspw. die Düngemethoden des Demeteranbaus oder des Globalen Südens verdeutlichen. Insofern wird hier an keiner Stelle das Wort für eine totale vegane Ernährung oder komplett tierlose Agrarkultur das Wort geredet. Man beachte auch, dass es schlicht undenkbar ist, weite Teile der an den Küsten des Globalen Südens lebenden Menschen ohne Fisch zu ernähren. Und in einigen Gegenden der Welt setzt das Überleben der Menschen die Jagd und den Verzehr von Tieren voraus – wie etwa im Polarkreis bei den verschiedenen Völkern der Inuit.

Kommen wir zur derzeitigen Realität:


Fleisch & Treibhausgase

Jonathan Safran Foer:

„Unser Planet ist ein Tierhaltungsbetrieb.“ (2019, 95 u. 184)

…und das hat einen enormen Impact auf unsere Biosphäre:

  • „Noch immer stehen 80 Prozent der weltweiten Abholzung in direktem Zusammenhang mit der Landwirtschaft, vor allem betrifft das den Anbau von Futtermitteln“ (Greenpeace 2019, 12, vgl. Weindl et al. 2017).
  • „Viehhaltung ist der Hauptgrund für Entwaldung“ (Foer 2019, 110).
  • „Nutztierhaltung ist verantwortlich für 91% der Rodungen im Amazonas“ (ebd., 109).
  • „Von zuvor illegal gerodeten Waldflächen stammt rund ein Fünftel (18 bis 22 Prozent) der brasilianischen Soja- und Rindfleischexporte in die Europäische Union“ (Spiegel 2020).
  • „Laut UN-Klimarahmenkonvention stünden Rinder der Welt in Sachen Treibhausgasausstoß an dritter Stelle hinter China und den USA“ (ebd., 110).
  • „Keine andere Industrie zerstört mehr natürlichen Lebensraum als die Fleischproduktion“ (Bethge 2019, 102).
  • „Keine andere Industrie zerstört mehr natürlichen Lebensraum als die Fleischproduktion“ (Bethge 2019, 102).
  • „Ein Drittel aller Treibhausgase und 70 Prozent des Trinkwasserverbrauchs gehen aufs Konto der Lebensmittelproduktion. Wollen wir die Erderwärmung auf zwei Grad zu beschränken, müssen wir diese Werte in Deutschland bis 2030 halbieren“ (Klarmann 2019, 64).
  • „Annähernd drei Viertel der GAP-Mittel, rund 293 Milliarden Euro [der Mittel der GAP, d.h. der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU] im Zeitraum 2014 bis 2020, fließen in Direktzahlungen, die die intensivsten und umweltschädlichsten Formen der Landwirtschaft begünstigen: Getreideanbau und intensive Tierhaltung. Solche Zahlungen werden entsprechend der Größe der landwirtschaftlich genutzten Fläche geleistet und sind kaum an die Kriterien für Nachhaltigkeit gebunden. Bis zu 15 Prozent der GAP-Mittel sind an die Produktion gekoppelt, das heißt, sie werden pro Tier oder pro produzierte Menge gezahlt. Sie gehen vor allem an die Fleisch- und Milchwirtschaft…“ (Bradley 2019, 26-27).

Viehhaltung bzw. Fleischkonsum hat folglich einen massiven Anteil an der Erderhitzung, am Klimawandel und am Massenaussterben.

Und hier wird es interessant:
Im Gegensatz zu unserer Mobilität und unserer Energieproduktion könnte man die Ernährung – prinzipiell, weil dafür keine umfangreichen Infrastrukturen neu geschaffen werden müssen – schnell und vergleichsweise unkompliziert umstellen. Foer konstatiert:

„Ich würde mein Leben… für einen Burger geben?“ – Really?
  • „Unsere Ernährung umzustellen wird nicht ausreichen um die Erde zu retten, aber wir können sie nicht retten, ohne uns anders zu ernähren“ (2019, 100).


Der Anteil, der Viehhaltung an den CO₂e-Emissionen zugeschrieben wird, wird sehr verschieden beziffert.

  • Doch selbst die Zahl am unteren Ende der Angaben – 14,5% von der UN – verdeutlicht, dass hier extremer Handlungsbedarf besteht (in diesem Sinne auch Foer 2019, 197).


14,5%

>> Foer weist darauf hin, dass die ursprüngliche, aus dem Jahre 2006 stammende Zahl der UN-Organisation FAO von 18% von selbiger bald nach Gründung einer „neuen Partnerschaft zwischen der FAO und der [US-]Fleischindustrie“ nach unten, also auf 14,5%, abgesenkt wurde (2019, 274).

>> FAO = Food and Agriculture Organization of the United Nations = Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen

Die Studie Livestock and Climate Change aus dem Jahre 2009 dimensioniert den durch Nutztierhaltung verursachten Anteil unserer globalen CO₂e-Emissionen vollkommen anders.

Sie taxiert den Anteil der Massentierhaltung an den globalen CO₂e-Emissionen auf

51%.

  • „The key difference between the 18 percent and 51 percent figures is that the latter accounts for how exponential growth in livestock production (now more than 60 billion land animals per year), accompanied by large scale deforestation and forest-burning, have caused a dramatic decline in the earth’s photosynthetic capacity, along with large and accelerating increases in volatilization of soil carbon“ (Goodland 2012).


Die 14,5- bzw. 18%-FAO-Studie berücksichtigt laut Foer (der sich auf Goodland bezieht) nicht, dass durch die Viehhaltung CO₂-Reduktionen verloren gehen, wenn man dort, anstatt Tiere zu halten, zu einem beträchtlichen Teil Regenwald nachwachsen ließe. (Allgemein darf angenommen werden, dass der Regenwald ohne die Aussicht auf Tierhaltung bzw. Soja-Anbau nicht gerodet worden wäre, sodass es statthaft ist, die entgangenen Reduktionen einzurechnen). Zudem sei Tierzucht am gemessenen Standort (Minnesota) wesentlich effektiver als z.B. im Globalen Süden, „wo der Sektor am schnellsten wächst. … Ebenfalls ausgelassen würde die ‚wesentlich höhere Menge an Treibhausgasen‘, die bei der Verarbeitung tierischer Produkte im Vergleich zu pflanzlichen Alternativen entsteht“ (Foer 2019, 268). Weitere unberücksichtigte Aspekte seien die erforderliche Kühlkette, die Zubereitung und die Entsorgung von Nassmüll bzw. Nebenprodukten, die Nutzung veralteter Zahlen, die Tatsache, dass das sich in 12,5 Jahren abbauende Methan idealerweise nicht auf 100, sondern auf die Klimaschädlichkeit von 20 Jahren gerechnet werde (vgl. S. 146). Auch die Atmung der Nutztiere sei nicht berücksichtigt. „Im Gegensatz zu den Büffelherden des präkolonialen Amerikas gehört Nutzvieh nicht zum natürlichen Kohlenstoffkreislauf“ (Foer 2019, 270-271). Schließlich hebt Foer hervor: Tierische Produkte seien „für menschliches Leben nicht unabdingbar“ – „[G]roße Teile der Menschheit [essen] wenig bis gar keine Tierprodukte“ (ebd.).


Aufgrund der vielen einzubeziehenden Faktoren ist es sinnvoll, die Rechnung eher entlang der Studie des Worldwatch Institute zu gestalten:

  • Foer konstatiert, dass „vermutlich keine von den beiden“ Zahlen stimme, halte aber „die höhere für die deutlich überzeugender“. Im Übrigen beziehe sich „[e]in Bericht der UN-Vollversammlung [sowie des Weiteren ein UNESCO-Bericht]… auf die 51 Prozent statt auf die [UN-eigenen-]FAO-Einschätzung“ (ebd. 2019, 274): Nicht mal die UNO selbst glaubt an die UN-FAO-Zahlen.


Zudem stoßen Rinder eben nicht CO₂, sondern Methan aus – was die Sache besonders kritisch macht und was dazu beiträgt, dass wir besonders dringend an das Thema ‚Ernährung‘ ranmüssen:

  • „[N]icht alle Treibhausgase sind gleich wichtig[:]… Auf ein Jahrhundert gerechnet hat Methan vierunddreißigmal so viel ‚Treibhauspotenzial‘ (die Fähigkeit Hitze einzuschließen) wie CO₂. Auf zwanzig Jahre gerechnet, hat es sechsundachtzigmal mehr… Da Methan und Stickoxide kurzfristig sehr viel höhere Treibhausausgaben bedeuten als CO₂, müssen sie am dringendsten gestrichen werden. Weil sie hauptsächlich dadurch entstehen, was wir essen, können sie am leichtesten gestrichen werden“ (Foer 2019, 105-106).
Details

Das UBA rechnet mit dem CO₂-Äquivalent (Treibhauspotenzial) von 25 und nicht 34. Aber auch „34“ ist eine gängige, oft genannte Zahl in diesem Zusammenhang (vgl. Abschnitt Die Physik des Klimawandels, S. 145f.). Die Verweildauer von Methan beträgt 12,5 Jahre – sodass man tatsächlich mit politischen Entscheidungen in den Bereichen Ernährung/Landwirtschaft recht schnell in den Methan-Gehalt der Atmosphäre eingreifen kann. Und: Es macht wenig Sinn die Wirkung von Methan auf 100 Jahre hoch zu rechnen.


Foer verteilt in der Folge gleichermaßen stark Lob und Tadel an Jean Ziegler:

  • „Der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Jean Ziegler, schrieb, es sei ein ‚Verbrechen gegen die Menschlichkeit‘, einhundert Millionen Tonne Getreide und Mais zu Biokraftstoffen zu verarbeiten, während fast eine Milliarde Menschen auf der Welt an Hunger leiden. Man könnte es als Körperverletzung mit Todesfolge bezeichnen.
  • Er sagte aber kein Wort davon, dass in der Nutztierhaltung jährlich etwa die siebenfache Menge an Getreide und Mais verfüttert wird – genug, um alle hungernden Menschen der Erde zu ernähren –, an Tiere, die von den Wohlhabenden gegessen werden. Dieses Verbrechen können wir als Genozid bezeichnen.

    Es ist also keineswegs so, dass die Massentierhaltung ‚die Welt ernährt‘.

Die Massentierhaltung lässt die Welt hungern und richtet sie gleichzeitig zugrunde.“ (Foer 2019, 192)


Weitere Zahlen zum Thema ‚Fleisch & Treibhausgase‘:

  • 1kg Rindfleisch = 13,3kg CO₂e (Geflügel 3,5kg CO₂e | Schwein 3,2kg CO₂e) (nach Wintermantel 2019, vgl. Agrarforum Leipzig 2017, BMU in Berkel 2019)
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Es gibt Studien, die nahelegen sowie Unternehmen, die behaupten, dass ein (derzeit nicht zugelassener) Rinder-Futterzusatz mit dem Molekül 3-NOP (3-Nitrooxypropanol) mindestens zu 30% und bis zu 50% die Bildung von Methan im Magentrakt von Rindern vermindern könnte. „Der Stoff habe, wenn er in die Nahrungskette gelange, weder für die Kuh noch für den Menschen schädliche Nebenwirkungen“ (Schilliger 2017). Meinen Recherchen zu Folge erwähnen weder Spiegel, SZ noch Zeit diesen Ansatz, der zudem Züge von Bioengineering trägt, weshalb er hier bis auf Weiteres lediglich Platz in einer Fußnote findet. Selbst wenn eine praktische Umsetzung tragbar wäre und gelänge, wären die grundlegenden Herausforderungen damit allenfalls ein wenig entschärft, aber keinesfalls behoben. Letztlich handelt es sich um die Bekämpfung eines Symptomes. Notwendig ist aber eine Ursachenbekämpfung – und für alles andere haben wir auch keine Zeit mehr. Die Überschrift des Schweizer Tagesanzeigers verrät, worum es mutmaßlich geht: Um ein „Milliardengeschäft mit rülpsenden Kühen“ (ebd.).

  • Andere Rechnung, andere Zahlen:
    1 kg Rindfleisch = 20,65 kg CO2e (Geflügel = 4,22 kg CO2e | Schwein = 7,99 kg CO2e | Weizenmehl = 1,68 kg CO2e | Kartoffeln = 0,62 kg CO2e (nach WWF 2014, 29)
  • „Über 70% unseres ernährungsbedingten Flächenfußabdrucks entstehen allein durch den Verzehr tierischer Lebensmittel.“ (ebd., 23)
  • Jedes Rind rülpst bis zu 500 Liter Methan – pro Tag (vgl. Braun et al. 2020, 71)


Statistiken von der Facts-Seite der Film-Doku Cowspiracy (2014):

  • Land, das benötigt wird, um eine Person ein Jahr lang zu ernähren…
    • vegan = 674 qm | vegetarisch = 2.023 qm (=Faktor 3) | Fleisch-essend = 12.141 qm (Faktor 18) (vgl. Anderson/Kuhn 2019)
    • „A person who follows a vegan diet produces the equivalent of 50% less carbon dioxide, uses 1/11th oil, 1/13th water, and 1/18th land compared to a meat-lover for their food“ (ebd.).
  • Auf 6070 qm können 170 kg tierische Lebensmittel produziert werden (ebd.).
  • Auf 6070 qm können 16,8t pflanzliche Lebensmittel produziert werden (Faktor 44) (ebd.).

>> vgl. Aspekt Inspirationen für konkrete Verhaltensänderungen/vegetarische Ernährung, S. 180.


In den Niederlanden ist man mal wieder weiter: Hier gibt es ein staatliches Ausstiegsprogramm aus der Schweinehaltung namens warme sanering (‚warme Sanierung‘). Die Regierung sieht 180 Mio Euro vor, die „Schweinebauern zugutekommen, die ihre Ställe endgültig abreißen“ (Theile 2020, 7) und ihre ‚Schweinerechte‘ abtreten. Ein Trend ist, auf dem jeweiligen Gelände dann Einrichtungen zu bauen für Tageseinrichtungen für Betreuungsbedürftige.

  • „Jüngsten Medienberichten zufolge plant die [niederländische] Regierung ein weiteres Programm über 350 Millionen Euro für ausstiegswillige Viehhalter in stark belasteten Gegenden“ (ebd.).

Diese für Deutschland derzeit bedauerlicherweise noch nicht einmal denkbare Maßnahme gründet letztlich auf dem gleichen weitreichenden Gerichtsurteil in den Niederlanden, welches zum Tempolimit geführt hat (vgl. Abschnitt Tempolimit, S. 314f.).


Update April 2020 zum Aspekt Viren wie bspw. SARS-CoV-2, veränderte Landnutzung und Rindfleisch:

Dem US-Biomediziner und Virologen Dennis Carol zufolge dringen wir Menschen – aufgrund des Bevölkerungswachstums, der geänderten Landnutzungen, bei der Suche nach Rohstoffen und mittels unseres überbordenden Lebensstils – zu weit in die Natur vor, womit wir die Gefahr des Übergreifens eines Virus‘ vom Tier zum Mensch erhöhen:

  • „Die wichtigste Ursache für das Übergreifen von Viren liegt in der Transformation von Ökosystemen durch eine Änderung der Landnutzung. Deren wichtigster Faktor ist wiederum die Rinderhaltung und -produktion. Hinzu kommt die Herstellung von Nahrungsmitteln für diese Rinder. Eine zentrale Herausforderung ist, die Art und Weise, wie wir unseren Proteinbedarf decken zu überdenken. In dieser Hinsicht glauben wir, dass im Laufe des 21. Jahrhunderts Afrika südlich der Sahara und Südasien immer stärker in den Fokus rücken werden – auch wegen des Bevölkerungswachstums dort. Wenn wir unseren Proteinbedarf weiter auf die bisherige Weise decken – und hier spielt Rindfleisch eine große Rolle – wird die Gefahr des Viren-Übergreifens rasant wachsen. Wir müssen uns nüchtern fragen: Gibt es andere Wege um den Proteinbedarf zu decken? Gibt es Alternativen für die derzeitige Tierhaltung? – Und darüber müssen wir als Weltgemeinschaft ernsthaft nachdenken“ (Carol 2020).

Damit erhält die ohnehin hohe Notwendigkeit zu einer geänderten Produktion von Nahrungsmitteln noch eine weitere Dimension.

>> vgl. Aspekt Antibiotika-Resistenzen, S. 183f. und Aspekt Zoonosen, S. 129f.


Quellen des Abschnitts Fleisch & Treibhausgase



Fleisch & gesunde Ernährung

  • „Es stimmt, dass eine gesunde Ernährung teurer ist als eine ungesunde – etwa 550 $ pro Jahr [=46 Euro im Monat]. Und jeder sollte das Recht auf Zugang zu gesunden, bezahlbaren Lebensmitteln haben. Aber eine gesunde vegetarische Ernährung kostet pro Jahr im Schnitt etwa 750 $ weniger als eine gesunde fleischbasierte Ernährung“ (Foer 2019, 193).

>> vgl. Abschnitt Was kann Ich tun? – mögliche konkrete Verhaltensänderungen und Aktivitäten Aspekt Nur noch Bioland und Demeter als Bio-Siegel akzeptieren, S. 185f.).


Foer weist dann noch auf die Kosten hin, die durch Fleischkonsum-beförderte Zivilisationskrankheiten entstehen.

  • „Es ist also nicht elitär, wenn man sich für eine preisgünstigere, gesündere und ökologisch nachhaltigere Ernährungsweise einsetzt.

    Was mir dagegen elitär erscheint:

    Wenn jemand die Existenz von Menschen, die keinen Zugang zu gesunder Nahrung haben, als Ausrede nutzt, nichts zu verändern, statt als Antrieb, um diesen Menschen zu helfen“ (ebd.).

>> Quelle: Foer, Jonathan Safran (2019): Wir sind das Klima! Wie wir unseren Planeten schon beim Frühstück retten können. Kiwi, S. 193.



Fleisch & Ethik

Tierstrafrechtler Jens Bülte:

„Stellen Sie sich vor, man würde erlauben, Hunde betäubungslos zu kastrieren – den Aufschrei in der Bevölkerung können Sie sich ausmalen.“ (Theile 2019, 6)

Hier geht es nicht um ‚Bullerbü‘. Hier geht es um einen Mindeststandard an Tierwohl, den die Ethik gebietet. Und von dem sind wir: meilenweit entfernt.

Nutztiere sind zum Sterben da?

  • „Tiere fühlen nicht, Tiere denken nicht, sie haben auch kein Bewusstsein, so [sah die Menschheit es traditionell und so] sehen es viele noch heute…“ (Abé 2019, 29) – und ignorieren bzw. rechtfertigen damit die Massentierhaltung bzw. das Wegschauen (vgl. ebd.).


Da frage ich mich: Wenn das so gesehen wird, warum hält man sich dann so gerne nicht-fühlende, nicht-denkende, bewusstseins-lose Tiere?
Vielleicht hält man sie sich, weil man intuitiv weiß, dass Tiere viel mehr sind als nicht-fühlend und nicht-denkend.
Und: Jede*r Tierbesitzer*in – wirklich jede*r – weist gern und immer wieder auf die herausragenden Charaktereigenschaften und die besondere Intelligenz ihres/seines tierischen Lieblings hin.


Auch die Wissenschaft beweist mittlerweile, dass die Intuition von Tierbesitzer*innen keineswegs trügt:

  • Tiere, das ist die Kernbotschaft, seien dem Menschen näher als lange angenommen. Sie sind soziale Wesen mit vielfältigen Gefühlen und haben sogar eine Art Bewusstsein“ (Abé 2019, 29).


Den bekannten Marshmallow-Test, dem Kinder so gern unterzogen werden („Hier ist ein Bonbon – wenn Du lieber 2 Bonbons möchtest, musst Du Bonbon Nr. 1 fünf Minuten auf dem Teller liegen lassen“), bestehen auch Schweine:

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Wir Menschen sind derzeit im Grunde ebenfalls kollektiv mit der Marshmallow-Frage konfrontiert „Willst Du jetzt Alles sofort, um den Preis, dass Du (und Dein Kind) hinterher nichts mehr hast – oder willst Du mehrere kleine Portionen, sodass es auch künftig für Dich und Dein Kind reicht“. Ich bin mir nicht sicher, wie die Menschheit diese Frage beantworten wird. Wie gesagt, Schweine bestehen diesen Test.

  • „Binnen Tagen wird sie [– die Sau ‚Madame‘ –] in der Lage sein, genau das nicht zu tun. Sie wird ihre Impulse kontrollieren und auf sofortigen Genuss [zugunsten ihrer später servierten Lieblingsspeise] verzichten“ (ebd., 30).


Kein Wunder, das Schweine im Kastenstand „ähnlich autoaggressive Symptome wie Menschen in Isolierhaft [entwickeln]“ (Scheub/Schwarzer 2017, 55).


Unseren Blick auf Nutztiere kann man darüber hinaus in einen größeren Zusammenhang stellen:

  • „Der Ethiker Peter Singer… gebraucht das Wort ‚Speziesismus‘, um den Blick des Menschen auf das Tier zu beschreiben. Er meint seine verzerrte Perspektive zugunsten der eigenen Spezies, nur sie unterliege danach einem moralischen Wertegefüge. Der Philosoph zieht Parallelen zum Sexismus, mit dem eine schlechtere Stellung von Frauen gerechtfertigt wird, sowie zur Rassenlehre des 19. Jahrhunderts, nach deren Logik Schwarzafrikaner versklavt werden durften. Das andere Geschlecht, die andere Rasse, und nun eben die andere Spezies, werden als minderwertig betrachtet. Gerechtfertigt werde die Ausbeutung von Tieren mit Verweis auf die Unterschiede zum Menschen. …

    [Doch i]m Grunde sei es irrelevant, wie wenig sich Tiere und Menschen unterscheiden. … Einzig relevant sei, ob es leidet“ (Abé 2019, 30-31).

Update 17.4.2022:

  • „Passend zu Ostern haben Feuerwehrleute in Bremerhaven ein Entenküken gerettet…[,das in] einen Straßengully gestürzt [war]… Die Entenmutter und zehn Geschwisterküken riefen den Angaben zufolge ‚unentwegt‘ nach dem verlorenen Familienmitglied… [Nach der Rettung] setzte die gesamte Entenfamilie ihren Osterspaziergang fort“ (Spiegel 2022).

Mehr als Fleisch…


Quellen des Abschnitts Fleisch und Ethik

  • Abé, Nicola (2019): „Wie lebende Maschinen“. in: Der Spiegel, Nr. 33/2019, 10.8.2019, S. 29ff.
  • Scheub, Ute u. Schwarzer, Stefan (2017): Die Humusrevolution. Wie wir den Boden heilen, das Klima retten und die Energiewende schaffen. oekom.
  • Spiegel (2022): „Feuerwehr rettet Entenküken aus der Kanalisation – seine Familie schaut zu“. in: Der Spiegel, 17.4.2022, online unter https://www.spiegel.de/panorama/bremerhaven-feuerwehr-rettet-kueken-aus-der-kanalisation-a-7e98f1fe-a1de-4577-8832-f6d5a5930d77 (Abrufdatum 17.4.2022)
  • Theile, Merlin (2019): „‚Stellen Sie sich vor, man würde erlauben, Hunde betäubungslos zu kastrieren.‘ Der Strafrechtler Jens Bülte über die unterschiedliche Behandlung von Haus- und Nutztieren sowie fehlende Kontrollen in deutschen Ställen“. in: Die Zeit, Nr. 12/14.3.2019, S. 6.


Fleisch & Tierhaltung

Fleisch & Tierhaltung: ‚Nottötungen‘ – wtf ist das?

Nein, das sind nicht alles Einzelfälle.

  • „Jedes fünfte in Deutschland für die Fleischindustrie geborene Schwein erreicht das Schlachtalter gar nicht, weil es erkrankt oder verletzt wird. In Zahlen bedeutet das: Mehr als 13,5 Millionen sogenannter Falltiere werden vorzeitig ‚notgetötet‘“ (Kwasniewski 2019).


Da stellt sich die Frage, wie so eine „Nottötung“ abläuft.

  • „Schon länger gibt es Hinweise darauf, dass kranke oder verletzte Schweine in der Intensivtierhaltung nicht fachgerecht getötet werden“ (Kwasniewski 2019). Das würde ja auch Geld kosten. Die Sprecherin der Tierrechtsorganisation, Sandra Franz, dazu im Spiegel: „Die betroffenen Tiere sind von vornherein als ‚Verluste‘ einkalkuliert. Da eine Behandlung der Tiere nicht rentabel wäre, werden sie einem langsamen und leidvollen Tod überlassen“ (ebd.). Und die Tierärztin [Elisabeth] große Beilage kommt in einer Studie über ankommende Tierkadaver in Tierkörperbeseitigungsanlagen zu dem Schluss: „Fast 62 Prozent der von große Beilage kontrollierten Schweinekadaver waren mangelhaft betäubt und/oder getötet worden“ (ebd.).
  • 300.000 Schweine pro Jahr – das hat nichts mit einzelnen schwarzen Schafen in der Branche zu tun (vgl. ebd.) – das ist ein systemischer Fehler.
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Wenn aufgrund einer Krankheit wie bspw. der Vogelgrippe sämtliche Tiere von Massentierhaltungen geschlachtet werden, nennt das Verwaltungsrecht das „Bestandsräumungen“ (vgl. Theile 2019, 6). Solche Euphemismen sind meiner Beobachtung nach gerade im Bereich ‚Massentierhaltung‘ auffällig üblich: Es sind Mitte der 1990er Jahre Wochen ins Land gegangen, bis ich verstanden habe, dass es sich im Zusammenhang mit der Rinderkrankheit BSE bei Tiermehl nicht etwa, wie von mir gutgläubig angenommen um (pflanzliches, Körner-/Pflanzen-)Mehl für Tiere handelt, sondern um „mittels mechanischer und chemischer Aufarbeitung“ (wikipedia 2019) zu Mehl vermahlene „Kadaver von verendeten und erkrankten Tieren, Schlachtabfälle und tierische Nebenprodukte“ (ebd.), die nachfolgend reinen Pflanzenfressern vorgesetzt werden, also: Mehl aus Tieren für Tiere, genauer gesagt für Pflanzenfresser.


In meiner Wahrnehmung übernimmt man mit jedem Lebewesen in der eigenen Obhut auch die Pflicht, dieses artgerecht zu halten und im Krankheits-/Verletzungsfalle einem Tierarzt vorzustellen. Eine „Nottötung“ kann daher von der Logik der Sache nur erfolgen, wenn dadurch größeres Leid verhindert wird – aber eben definitiv nicht aus wirtschaftlichen Gründen. Wie abgestumpft ist unsere Gesellschaft eigentlich, dass es offensichtlich notwendig ist, diese Zeilen zu schreiben?


Frage: Aber warum werden überhaupt so viele Jungtiere krank, noch bevor sie ihr Schlachtgewicht erreichen?

Antwort: Der ‚Ausschuss‘ ist aufgrund der beengten und nicht-artgerechten Haltungsbedingungen derartig hoch.

  • Ein beliebtes und selbstberuhigendes Argument von Fleischliebhaber*innen ist, dass die Haltungsbedingungen schließlich durch Tierärzte und Kontrollbehörden überprüft würden und sie sich somit keine Gedanken machen brauchen.

    Ja, so sollte es sein. Ist es aber nicht – und jede*r weiß es.


Und jede*r weiß, dass jede*r es weiß. Das hat System. Das ist verlogen.

Wer hier mitspielt, nach dem Motto: „Was kann ich dafür, wenn Regeln allzu oft nicht eingehalten werden“, handelt angesichts des eigenen Wissens, dass die Regeln systemisch nicht eingehalten werden, m.E. verantwortungs- und gewissenlos.


Dazu hält der Spiegel fest:

  • „Die Kontrollen sind mangelhaft, die Veterinärämter so unterbesetzt, dass statistisch gesehen ein Tierhalter in Nordrhein-Westfalen nur rund alle 15 Jahre mit einer Überprüfung rechnen muss. Trotz vieler Verstöße kommt es nur selten zu Strafverfahren – in der Regel stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren wegen Geringfügigkeit oder mangels Beweises ein“ (Kwasniewski 2019).
  • „Im Jahr 2017 waren nach Auskunft der Bundesregierung 562.864 Betriebe in Deutschland tierschutzrechtlich kontrollpflichtig, es gab aber bloß 29.854 Kontrollen, weil auch die Veterinärämter völlig überlastet sind. Die Kontrolldichte lag also bei gut fünf Prozent, in manchen Bundesländern sogar noch darunter.

    In Bayern kommt im Schnitt nur alle 48 Jahre ein Kontrolleur vorbei“ (Theile 2019, 6).


Wenn eine Vorschrift Kontrollen erfordert bzw. wenn ein Gesetz Kontrollen vorsieht, dann hat der Staat – vollkommen egal in welchem Lebensbereich – dafür zu sorgen, dass entsprechend das erforderliche Personal eingestellt wird und selbige durchgeführt werden. Andernfalls – und insbesondere, wenn jahrelang viel zu wenig Personal da ist – hat von einem bewussten Wegschauen oder zumindest eine bewusste Inkaufnahme des Staates ausgegangen zu werden. Damit macht sich der Staat zum Komplizen.


Und die/der um diesen Umstand wissende Non-Bio-Fleischkonsument*in – moralisch gesehen – ebenfalls.


Quellen des Abschnitts Fleisch & Tierhaltung: ‚Nottötungen‘ – wtf ist das?



Fleisch & Tierhaltung: Kastration von männlichen Ferkeln

Argumentation von Befürworter*innen:

  • Betäubungen dürften nur Tierärzte, davon gäbe es zu wenige (Anmerkung der Redaktion: Kostenfaktor!), das Fleisch unkastrierter Eber rieche beim Braten unangenehm, wolle man das vermeiden, hätten die männlichen Schweine früher geschlachtet zu werden und brächten dann nur 80 statt 120 kg Schlachtgewicht = Thema Effizienz – und: Schlachtbetriebe seien auf 120 kg eingerichtet und wollen keine 80-kg-Schweine (vgl. Ausführungen des Landwirtes Marcus Holtkötter in Grefe/Theile 2019, 32).


In anderen Worten:
Es wäre ethisch angebracht, männliche Schweine früher zu schlachten. Das ist eine Zeile Gesetzestext. Simpel. Kann gleich morgen erledigt werden.


>> Quelle: Grefe, Christiane und Theile, Merlin (2019): „‚Das ist doch ökologischer Irrsinn‘. Die Grünen-Politikerin Renate Künast und der Landwirt Marcus Holtkötter streiten über Gülle im Grundwasser und die Frage, ob es nötig ist, Ferkel zu kastrieren“. in: Die Zeit, Nr. 45/30.10.2019, S. 32.



Fleisch & Tierhaltung: Hochleistungsrassen

Vielen Menschen ist heute nicht mehr bewusst, dass Kühe nur Milch geben, wenn die regelmäßig Kälber auf die Welt bringen. Hochleistungsmilchkühe sind indes nicht auf Fleisch gezüchtet, sodass sie „in deutschen Schlachthöfen nicht gefragt [seien]“ (Jaensch 2019, 43), weshalb Landwirt*innen dazu neigen, den „überzähligen [und zumal den männlichen] Nachwuchs ins Ausland zu verkaufen“ (ebd.).

Hochleistungsrassen bei Hühnern, Rindern, Puten und Schweinen:

  • Früher war es „üblich Hühner zu halten, die sowohl Eier legten als auch Fleisch liefern konnten… Heutige Masthühner sind nach nur einem Monat groß genug, um geschlachtet zu werden, heutige Legehühner legen im ersten Jahr bis zu 330 Eier, ein zweites Jahr ist dann nicht mehr vorgesehen. Noch schlechter haben es die Hähnchen der Legerassen getroffen… Sie [werden umgehend mit Kohlendioxid erstickt und/oder] landen direkt nach dem Schlüpfen im Schredder… [– jährlich in Deutschland] 45 Millionen Küken“ (Göpel 2020, 41-42; Aspekt Kohlendioxid vgl. Maurin 2020, 8).
    In Deutschland ist dieser unethische Umgang mit Leben weiterhin für eine nach meinem Wissensstand nicht terminierte „Übergangszeit zulässig, wie das Bundesveraltungsgericht 2019 entschieden hatte. Die Praxis darf aber vorerst weitergehen, bis den Brutbetrieben praxisreife Verfahren zur Geschlechtsbestimmung schon im Ei zur Verfügung stehen“ (taz 2020, 15; vgl. Aspekt Fortsetzung des Kastenstandes, S. 562).


Update September 2020: Ein Gesetzesentwurf des Agrarministeriums sieht vor, dass das „routinemäßige Töten frisch geschlüpfter männlicher Küken … in Deutschland ab Januar 2022 verboten sein [soll]… Ab Januar 2024 müssen [gemäß Gesetzentwurf] Methoden zur Geschlechtserkennung angewandt werden, die vor dem siebten Bruttag greifen“ (Maurin 2020, 8). Abwarten, es ist ein Gesetzentwurf.

  • Hochleistungsmilchkühe haben aufgrund ihrer schweren Euter u.a. Gelenkprobleme (vgl. Albert Schweitzer Stiftung 2020a) – um 1900 betrug die Milchleistung je Kuh 2.165 kg, 1990 4.710 und 2019 8.250 kg (vgl. Statista 2020) – eine Vervierfachung des langjährigen landwirtschaftlichen Normalzustandes; 2016 pro Kuh = ca. 27 Liter pro Tag, ca. 10.000 Liter im Jahr, in den USA sogar 12.000 Liter im Jahr (vgl. Koch 2016).
Vegetarier Hagen Rether spricht über Fleisch und Klimawandel https://www.youtube.com/watch?v=gtaOVI7WdO8 (Abrufdatum 9.11.2020)


„Erwachsene Mitteleuropäer saufen Kuhmilch wie Wasser. Haben Sie schon mal so ein entzündetes Euter gesehen von so einer Hochleitungskuh – da würden wir uns aber vier von unseren sechs verschissenen Latte Macchiato am Tag sparen.“ (Hagen Rether 2010)

>> Während des Erzählens spielt Rether lässig ein eigenes Arrangement von „Schlaf, Kindlein Schlaf“ auf dem Flügel.

  • Bei Puten bedeutet die Überzüchtung, dass „durch das ungleiche Verhältnis von Muskulatur zu den inneren Organen und die Überbeanspruchung des Stoffwechsels … häufig ihr Körper [versagt]“ (Albert Schweitzer Stiftung 2020b): „Während ein männliches Küken noch etwa 60 Gramm wiegt, beträgt sein Gewicht am Ende der Mast bis zu 21 kg – das entspricht einer 350-fachen Gewichtsteigerung“ (ebd.). Man hat davon ausgehen, dass diese Tiere u.a. durch schmerzende Beinveränderungen und Entzündungen quasi immer Schmerzen haben.
  • Hochleistungsschweine werden geimpft, bekommen Ohrenmarken, ihre Vorderzähne werden mithilfe einer Art Bohrmaschine (vgl. Höfler/Windel 2020, 111) abgeschliffen, die Schwänze z.B. „mit einer Stanzmaschine“ (ebd.) abgeschnitten – und die männlichen Tiere i.d.R. kastriert,
    • bis zum 31.12.2020 betäubungslos (vgl. Amann et al. 2013, 66),
    • ab 1.1.2021 unter Vollnarkose „plus Schmerzmittel für danach“ (Schönherr 2020, 21),

gemäß Spiegel wurde bislang „lediglich das Schmerzmittel Metacam … verabreicht“ (ebd.). „Viele Ferkel erhalten [mit Stand 2013] … direkt nach der Geburt ein Langzeitantibiotikum“ (ebd., 68).

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Zitat Website des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft: „Ursprünglich sollte das Verbot [betäubungslos zu kastrieren] zum 1. Januar 2019 in Kraft treten. Das deutsche Tierschutzgesetzt ist mit Blick auf das Thema Ferkelkastration eines der ambitioniertesten Gesetze innerhalb der EU… Die Debatte um die Verlängerung spiegelt die Zielkonflikte zwischen hohen Tierschutzstandards und betrieblicher Praxis.“ (BMEL 2020).


Was bleibt denn von dem Schwein überhaupt noch so, wie es auf die Welt gekommen ist?

  • Und, analog zur Pute: „Manche Rassen … legen so schnell an Gewicht zu, das das Skelett entwicklungstechnisch nicht mitkommt. Dann brechen die Beide, weil das Tier sich selbst zu schwer wird“ (ebd.).


Soweit kurz herausgegriffen einige wenige Aspekte des Themas ‚Hochleistungsrassen‘.


Update Juni 2020:

Der Deutsche Ethikrat äußert sich 2020 „[n]ach langen Vorbereitungen ‚zum verantwortlichen Umgang mit Nutztieren‘[:] … [N]icht vertretbar seien Hochleistungszucht, durch die Tiere Schaden nähmen“ (Sezgin 2020, 12) – es folgt eine Liste, die den Ausführungen dieses Handbuch-Abschnitts in nichts nachsteht, ergänzt um Aspekte wie „Dauerbeleuchtung in Geflügelzuchthallen, Spaltböden in Kuhställen, enge Käfige für Muttersauen… sowie … die Trennung von Mutter- und Jungtieren direkt nach der Geburt“ (Deutscher Ethikrat 2020, 45).

  • „Wenn wir … [diese Ausführungen] ernst nähmen, würde die Nutztierhaltung im Land komplett zusammenbrechen. Irreversibel. Denn weder Fleisch, Eier noch Milch könnten in relevantem Maßstab produziert werden, wenn die bekannten Maßnahmen zur Effizienzsteigerung verboten würden“ (Sezgin 2020, 12).


Derweil drohen diverse traditionelle ‚alte‘ Nutztierrassen auszusterben – denn in den Ställen und auf den Weiden stehen i.d.R. die immer gleichen hochgezüchteten Hochleistungsrassen. Dabei gibt es weltweit mehr als 1.000 Rinder und Schafrassen, „beim Pferd ungefähr 700 und bei Ziege und Schwein immerhin noch mehr als 500“ (Sambraus 2010, 9). „Doch [v]iele Rassen sind im Verlauf des 20. Jahrhunderts ausgestorben, zahlreiche sind in ihrem Bestand bedroht. Je nach Tierart sind es 20 bis 40 Prozent“ (ebd.). „Für die nächsten 20 Jahre [Stand: 2010!] rechnet die FAO mit einem Totalverlust von 2.000 weiteren Haus[nutz]tierrassen“ (Frölich/Kopte 2010, 16).

Damit schwindet die genetische Vielfalt – und steigt das Risiko, dass es mal eine Hochleistungsrasse oder gar eine ganze Nutztierart durch eine Krankheit weitgehend oder gar komplett dahinrafft. Die traditionellen Nutztierrassen haben gegenüber den Hochleistungsrassen den großen Vorteil, dass sie i.d.R. wesentlich robuster, anspruchsloser, fruchtbarer und widerstandsfähiger gegen Krankheiten sind (vgl. ebd.).

  • Die Arche Warder am Rande der Ortschaft Warder bei Kiel, ein Greenpeace-Projekt, beforscht, bewahrt und züchtet (unter Achtung der genetischen Vielfalt) alte Nutztierrassen und zeigt ihre Arbeit mit dem gleichnamigen Tierpark mit definitiv artgerechter Haltung. Für Menschen, die Kühe wahlweise entweder für schwarzbunt oder braun halten, ist es doch überraschend, Lockengänse, Tauchschweine und Schafe bzw. Ziegen mit verschiedensten Kopfschmuck zu Gesicht zu bekommen. Der erste Besuch dort kann sich ‚exotischer‘ anfühlen als ein Besuch in einem Zoo mit den ‚üblichen‘ Tieren aus aller Welt.

Quellen der Abschnitte Fleisch & Tierhaltung: Tierhaltung: Hochleistungsrassen


Fleisch & Tierhaltung: Tiertransporte XXL

79.350 Zuchtrinder wurde 2017 aus Deutschland in Non-EU-Länder transportiert (vgl. Theile 2019, 3), „vorwiegend in die Türkei [30.236], nach Russland [17.923] und nach Usbekistan [6.898]… Die ins Ausland verschickten Rinder sind in der Regel [trächtig] im sechsten bis siebten Monat… Laut Vorschrift müssen die Rinder nach spätestens 29 Stunden für 24 Stunden abgeladen, gefüttert und getränkt werden“ (ebd.). Offiziell sind es Zuchttiere. Die Tierärztin Manuela Freitag, die gehalten ist, solche Transporte bis zu meteorologisch angekündigten 30 °C zu genehmigen, ist da nicht noch sicher: „‚Ich bezweifle stark, dass die deutschen Hochleistungsrassen für die Zucht in diesen Drittstaaten überhaupt geeignet sind‘… Es wundere sie deshalb nicht, dass aus den betroffenen Ländern immer wieder nachgeordert wird“ (ebd.). Eine von der Tierschutzorganisation Animals‘ Angels begleitete Fahrt von          60 trächtigen Kühen dokumentiert 205 Stunden Tortur bei bis zu -10 °C vom Emsland in Deutschland über Polen, Belarus – 14 Stunden Pause mit Entladung – Russland – 24 Stunden Pause ohne Ent-ladung – Kasachstan – 13 Stunden Pause mit Tränkung nach 43 Stunden (ohne Entladung) – Fergana Usbekistan = 6.000 km (vgl. ebd.).


29 Stunden!

>> vgl. Albert Schweitzer: Ehrfurcht vor dem Leben, S. 205f.

>> Quelle: Theile, Merlind (2019): „Jenseits der Schmerzgrenze“. in: Die Zeit, 28.2.2019, S. 3.



Fleisch & Tierhaltung: Kastenstand für Muttersauen

Die Argumentation von Befürworter*innen, z.B. äußert sich der Landwirt Marcus Holtkötter wie folgt:

  • „Die Sau [liegt] nach dem Abferkeln bis zu 28 Tage im Kastenstand [und wird] in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt… Aber wenn wir darauf verzichten würden…, würden 30 bis 40 Prozent der Ferkel von ihr erdrückt“ (Grefe/Theile 2019, 32).


Renate Künast spricht hier von einer „grundsätzlich falschen Tierhaltung“ und hebt darauf ab, dass bei Massentierhaltung „viele Jungtiere sterben“ (vgl. Abschnitt ‚Nottötungen‘ – wtf ist das?, S. 556f.). Soll heißen: Die Ferkel überleben dann zwar den Kastenstand, „erleben“ aber vielfach nicht ihr Schlachtgewicht. Künast weiter: „Höhere Überlebenschancen bieten Außenklimaställe und Auslauf“ (Grefe/Theile 2019, 31).


Der Spiegel ergänzte 2013:

  • „Maximal einen Tag darf eine Sau überfällig sein, dann wird die Geburt hormonell eingeleitet. Sonst gerät das ganze System aus dem Rhythmus. So wie immer dienstags besamt wird, sollen donnerstags die Ferkel kommen“ (Amann et al. 2013, 66).

Nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg 2015 ist der bisherige Kastenstand von Sauen nicht mehr zulässig. Um eine Neuregelung wird seitdem gerungen, ein neuerlicher Einigungsversuch ist im Juni 2020 gescheitert, sodass die Duldung aufgrund fehlender Neuregelung fortgesetzt wird (vgl. Schießl 2020a).

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1997 trat das erste Hamburger Klimagesetz in Kraft, welches Klimaanlagen verbot – soweit baulich möglich und zumutbar. Solche Gesetze werden i.d.R. erst durch von den Behörden erarbeiteten Rechtsverordnungen scharfgeschaltet. Eine solche Verordnung ist nie ergangen, sodass es weiterhin über einen Zeitraum von weit über 20 Jahren legal war, Klimaanlagen zu bauen (vgl. Hamburger Umweltsenator Jens Kerstan im Umweltausschuss 7.1.2020).

Update 4.7.2020:

In der letzten Sitzung des Bundesrates vor der Sitzungspause gibt es nun doch noch eine Neuregelung für das Thema ‚Kastenstand‘:

  • Dem zufolge dürfen „Muttersauen nur noch wenige [d.h. 5] Tage statt mehrere Wochen in Kastenstände gesperrt bleiben… – aber erst nach einer Übergangszeit von bis zu zehn Jahren. Der Bauernverband kritisierte den Beschluss, weil nun Ställe umgebaut werden müssen“ (Maurin 2020, 6; vgl. BR 2020, vgl. Schießl 2020b).
  • Letzteres sei für viele kleinere und mittlere Betriebe schwer zu stemmen. Das ist wahrscheinlich richtig angesichts der geringen Margen. Andererseits könnte man nun ausrechnen, wie viele Muttersauen von dieser kleinen Verbesserung aufgrund der Übergangszeiten niemals profitieren werden… Es gibt zu viele Schweinezuchten in Deutschland. Das alles zeigt, dass es nicht sinnvoll ist, allein an dem kleinen Schräubchen ‚Kastenstand‘ zu drehen – das fällt eigentlich schon eher unter das Thema ‚Ablenkung‘. Hier ist umgehend eine wesentlich größere Transformation erforderlich.

>> vgl. Aspekt Küken-Schreddern S. 558: Wirtschaft schlägt Tierwohl.
>> Die Niederlande sind da – mal wieder – weiter als Deutschland und reduzieren ihre Schweinebestände systematisch – siehe Niederlandes staatliches Ausstiegsprogramm für Schweinezüchter, S. 552.


Doch auch unabhängig vom Magdeburger Urteil von 2015 gibt es durchaus vielfach den Willen, innerhalb des bestehenden Systems mehr Tierwohl herbeizuführen – aber das ist nicht so einfach, wie es zunächst erscheint:

  • „Ein Stall mit Auslauf bedeutet zum Beispiel, dass Gerüche aus dem Stall nicht mehr über einen Kamin an die Außenwelt gehen, sondern [diffus] über viele andere Wege“ (Bauchmüller 2020).
  • „‚In der Praxis ist es oft so‘, sagt [der Landwirt und Vorsitzende der ‚Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft‘ Martin] Schulz, ‚Landwirte wollen umbauen, legen Pläne vor, aber die Behörden scheuen eine Entscheidung.‘ Aus Angst, dass die Genehmigung vor Gericht keinen Bestand hat. Denn neben besorgten Verbrauchern gibt es auch jede Menge klagefreudige Anwohner“ (zit. in Bauchmüller 2020).

Wenngleich die Klagefreundlichkeit in Deutschland tatsächlich ein Problem darstellt, ist es doch schwer vorstellbar, dass all die 7,27 Millionen Schweine (vgl. SZ 2020) und 7,993 Millionen Niedersachs*innen (vgl. wikipedia 2020) bei einer Freilandhaltung bzw. offenen Ställen allein schon ‚geruchstechnisch‘ gut miteinander klarkämen…

Das bedeutet, dass Tierwohl und eine weniger inadäquate Massentierhaltung sich ein stückweit ausschließen. Gekoppelt an ethische Erfordernisse sowie den aus der Biodiversitäts- und Klimakrise zu ziehenden Konsequenzen liegt es auf der Hand, dass es eines gewaltigen ‚Weniger‘ bedarf.


Mein persönliches Fazit zu dem Abschnitten Fleisch & Ethik sowie Fleisch & Tierhaltung lautet: Mit diesem Schweinesystem möchte ich nichts zu tun haben. Ich möchte daran keinen Anteil haben.

Jeder Kauf von Billig-Fleisch stützt das System Massentierhaltung / Tierelend / Regenwald-Abholzung / Verlust von Artenvielfalt / Massenaussterben / Klima-Aufheizung / Trinkwasserverschmutzung / Dumping-Lohn.


Rind geht auch Bio nicht wegen CO2e/Methan.

Rind/Lamm/rotes Fleisch/verarbeitetes Fleisch (Wurst & Co) geht nicht wegen (Darm-)Krebsrisiko.

Konventionelles Geflügel geht nicht wegen Antibiotika-Resistenz-Risiko.

Bleibt nicht viel.

Es bleibt:


Veganismus oder selten frisches, nicht-rotes Biofleisch bzw. Milchprodukte auf der Stufe Bioland/Demeter.


Quellen des Abschnitts Fleisch & Tierhaltung: Kastenstand für Muttersauen



Fisch.

Fisch & Ernährung

Fisch ernährt einen Großteil der Menschheit:

  • „Nach Schätzungen der Welternährungsorganisation (FAO) sind heute insgesamt 660 bis 820 Millionen Menschen direkt oder indirekt von der Fischerei abhängig. Bis zu zwölf Prozent der Weltbevölkerung leben demnach von diesem Wirtschaftszweig“ (Latif 2014, 292).

    „Weltweit ernähren sich allein drei Milliarden Menschen hauptsächlich von Fisch“ (Götze 2019).


Überfischung & Massenfischhaltung

Zur Überfischung trägt der Fischfang im industriellen Maßstab inkl.

  • des Fanges noch nicht geschlechtsreifer Tiere (vgl. Welzer 2016, 15) und
  • direkt umweltschädigender Fangmethoden maßgeblich bei.

Jüngst entdeckte man, dass die Erderwärmung gewissermaßen ‚hilft‘ die verbliebenen Fischbestände ‚aus dem Meer zu quetschen‘:

  • „In wärmeren Gewässern vermischen sich sauerstoffreiche und -arme Schichten weniger gut. Thunfische und Haie brauchen zum Beispiel wegen ihrer Größe und ihres Energiebedarfs viel Sauerstoff. Sie würden in relativ sauerstoffreiche Schichten an höheren Lagen gezwungen und setzten sich dann der Gefahr aus, gefischt zu werden. Das trage zusätzlich zur Überfischung bei, berichten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Weltnaturschutzunion“ (Zeit 2019).

Um dem ‚Fischhunger‘ gerade auch der Bürger*innen der Industrienationen gerecht zu werden, gibt es mittlerweile in einem ausbordenden Maße sog. Aquakulturen:

  • „Die Aquakultur ist einer der am schnellsten wachsenden Zweige der Lebensmittelproduktion, und der Lachs ist einer ihrer Vorzeigefische. Allein Norwegen hat 2016 1,2 Millionen Tonnen Lachs geliefert“ (Kriener 2019, 32).
  • Aquakulturen = 66 Mio t : „Wildfang“ = 80 Mio t (Zahl der FAO 2012, zit. in Latif 2014, 293)
  • Aquakulturen sind: Massentierhaltung – und oft große Umweltverschmutzer:
    • Fischmehl (= Mehl aus Fisch)
    • starker Antibiotika-Einsatz
    • Fischfäkalien
    • Chemikalien

>> vgl. Latif 2014, 294
>> vgl. Aspekt Antibiotika-Resistenzen, S. 183

  • Und: „[U]m einen Lachs mit einem Kilogramm Gewicht heranzuziehen, benötigen Farmbetreiber zwischen zwei bis vier Kilo Wildfisch als Futter“ (ebd., 295).
  • Der Einsatz von Antibiotika ist auch bei Aquakulturen ein Problem. Jedoch hebt Kriener hervor, dass bezogen auf die Lachszucht in Norwegen der Verbrauch dieser Medikamente massiv zurückgegangen ist:
    • „Ursache sind die Impfungen der fingergroßen Jungfische gegen Infektionskrankheiten. In rasender Geschwindigkeit wird ein Fischlein nach dem anderen maschinell per Spritze geimpft“ (2019, 32).
  • Ein großes Problem sind Parasiten namens Lachsläuse, die „gegen die eingesetzten Insektizide teilweise resistent geworden [sind]“ (ebd.).
    • Entflohene Zuchttiere mit degeneriertem Erbgut gefährden Wildlachs-Bestände:
    • „Das Einsickern entwichener Zuchtlachse verändert den Genpool der Wildlachse, der sich über Jahrhunderte an die lokalen Ökosysteme angepasst hat. Farmlachse sind ganz auf Wachstum getrimmt, sie sind aggressiver und größer, weniger fit, sie haben eine geringere Fruchtbarkeit und – Lachse können bis zu zehn Jahre alt werden – eine kürzere Lebenserwartung“ (34).

      Und:

      „Allein der Marktführer Norwegen meldete während eines 14-jährigen Beobachtungszeitraums [offiziell] durchschnittlich 450.000 entkommene Fische pro Jahr“ (33).
  • Noch bis in die 1990er Jahre hinein wurden Zuchtlachse vorwiegend mit Fischmehl und Fischöl. Seither versucht man, „den Raubfisch Lachs zum Veganer zu erziehen“ (33).
    • „Wichtigster Bestandteil des Lachsfutters ist heute Soja. Die … Studie von Ytrestøyl beziffert den Sojaanteil am Lachsfutter auf 21,3 Prozent. Rapsöl kommt auf 18,3 Prozent, dazu kleinere Anteile Weizen, Sonnenblumen, Bohnen und Erbsen. Der Fischmehlanteil ist auf 19,5 Prozent gesunken, Fischöl auf 11,2 Prozent des Lachsfutters. Raubfische wie der Lachs vertragen das Pflanzenfutter allerdings denkbar schlecht, sie reagieren mit Durchfällen. Deshalb müssen die pflanzlichen Rohstoffe von Fasern und Kohlehydraten befreit werden. Dazu werden die Proteine isoliert und mit Aminosäuren angereichert. Die Low-Carb-Diät ist aufwendig und teuer. Und selbst nach der fischgerechten Aufarbeitung werden die pflanzlichen Futterpellets ungern gefressen. Ein Zusatz von Miesmuscheln als Geschmacksträger muss die Pflanzenkost aromatisieren, dann fressen die Fische ohne zu mucken“ (35).

Kriener hält abschließend fest, dass ein Raubfisch, der wenig Fisch frisst, entsprechend weniger Omega-3-Festtsäuren enthält, sodass man statt dessen „auch eine Gemüsepfanne servieren [könne]“ (35).

  • Douglas Tomkins, der vormals North Face und Esprit begründete und in seiner zweiten Lebenshälfte in Patagonien riesige Landschaften renaturiert und zu Nationalparks umgestaltet hat, erzählt im Gespräch mit Florian Opitz im Film bzw. Buch Speed – Auf der Suche nach der verlorenen Zeit:
    • „‚Damit pflastern sie seit Jahren [ohne Lizenz] die ganze Küste [in einsamen Gegenden in Patagonien] zu… Meistens sind es europäische Firmen, die hier das tun, was sie zu Hause nicht dürfen.‘ … In Chile würde etwa die gleiche Menge Lachs produziert werden wie in Norwegen, aber die hundertsiebzigfache Menge Antibiotika verfüttert. Dazu kämen Farbstoffe, Fungizide, Hormone. … ‚Wusstest du, dass eine einzige Lachsfarm so viel Scheiße produziert wie eine Stadt mit 65.000 Einwohnern? Und die ganze Scheiße fließt ins Meer.‘ … Der Lachs … sei … eingeschleppt worden. Jetzt fresse er die Küsten und Flüsse leer“ (2012, 210).

Quellen des Abschnitts Fisch



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